Geschichte und Gegenwart der Leichtathletik im USC Mainz

Vom Studentenclub zum Leistungssport

Nach seiner Gründung im Jahre 1959 als Verein, vor allem für die Studentinnen und Studenten der Universität Mainz, hat sich der USC Mainz sehr schnell zum führenden Leichtathletik-Verein in Rheinland-Pfalz und einem der erfolgreichsten Clubs in Deutschland entwickelt. Diesen Status konnte er bis heute halten.
Bereits 1962, also drei Jahre nach der Gründung, stellte der USC mit Speerwerfer Hermann Salomon - später Professor am Fachbereich Sport der Universität Mainz - seinen ersten Teilnehmer bei Leichtathletik-Europameisterschaften.

Die frühen Erfolge

Zwei Jahre später, bei den Olympischen Spielen in Tokio, waren bereits drei USC-Athleten am Start: Erneut Hermann Salomon, der 800m-Läufer Dieter Bogatzki (7. Platz) und der Zehnkämpfer Hans-Joachim Walde. Diesem gelang es mit seinem dritten Rang (7.809 Punkte), die erste olympische Medaille für den USC zu gewinnen. Über zwei Dutzend weitere Olympiateilnehmer stellte der Verein in der Folgezeit, fünf Mal Edelmetall konnten diese mit nach Hause bringen. Die Krönung gelang 1972 Ingrid Mickler-Becker, die bereits vier Jahre zuvor für ihren Heimatverein LG Gesecke Gold im Fünfkampf geholt hatte. Sie siegte mit der 4x100-m-Staffel in einem legendären Rennen gegen die DDR. Annegret Kroninger war in dieser Formation noch nicht dabei, stand aber in der Staffel, die vier Jahre später Silber in Montreal holte.
Auch bei den seit 1983 ausgetragenen Leichtathletik-Weltmeisterschaften war der USC regelmäßig vertreten. Hier sind vor allem die zwei Titel durch Diskuswerfer Lars Riedel (1991 und 1993) und jüngst die Goldmedaille von Zehnkämpfer Niklas Kaul (2019 - dazu später mehr) zu nennen, aber auch eine ganze Reihe weiterer Medaillen, wie 2001 durch die Sprinterinnen Marion Wagner (Gold mit der 4x100-m-Staffel) und Florence Ekpo-Umoh (Silber über 4x400m). Davor waren es schon einmal vor allem die Zehnkämpfer (Siegfried Wentz: 3. Platz 1983 und 2. Platz 1987, Christian Schenk: 3. Platz 1991), die Edelmetall mit nach Hause brachten.

Der USC als Heimat der Mehrkämpfer

Die Mehrkämpfer waren auch die führenden Rekordjäger. So stellte Guido Kratschmer 1980 mit 8.649 Punkten einen Weltrekord auf und wäre als Favorit zu den Olympischen Spielen nach Moskau gefahren, hätten die meisten westlichen Länder diese nicht boykottiert. Siegfried Wentz war zwischenzeitlich Weltrekordler im Hallen-Siebenkampf, und die beiden sind nach wie vor zusammen mit Jens Schulze (inoffizielle) Weltrekordler mit der Zehnkampfmannschaft. Kein anderes Team hat jemals ein solches Ergebnis erzielen können wie die drei mit ihren 25.376 Punkten am 4./5. Juni 1983 in Bernhausen.Die USC-Zehnkämpfer drückten auch den Europameisterschaften ihren Stempel auf. Allen voran bereits 1966 Werner von Moltke und Jörg Mattheis, denen in Budapest ein historischer Doppelsieg gelang. Der Drittplatzierte Horst Beyer wechselte zur folgenden Saison nach Mainz. Erfolgreichstes EM-Jahr war 1971, als vom USC drei Titel und vier weitere Medaillen gewonnen wurden. Unter anderem siegte der Hammerwerfer Uwe Beyer, der in seiner Karriere auch drei Deutsche Rekorde warf und sich später ehrenamtlich im USC engagierte. Die letzten EM-Medaillen gab es 2002 in München, als Florence Ekpo-Umoh Gold über 4x400m und Marion Wagner Silber über 4x100m gewinnen konnten. Auf nationaler Ebene ist der USC bereits bei über 400 Meistertiteln angelangt – die überaus erfolgreichen Sportler und Sportlerinnen der Seniorenklassen nicht mitgezählt.

Studium und Leistungssport an einem Ort

Von seiner Gründung bis in die 1980er Jahre machte der USC Mainz seinem Namen alle Ehre, denn er war vor allem ein Verein für Studenten und Angehörige der Universität Mainz. Als noch nicht das Geld der bestimmende Faktor war, lockte vor allem die hervorragende Kombination aus Studien- und Trainingsbedingungen die Athleten nach Mainz. Begründet vom legendären Berno Wischmann und fortgesetzt von vielen weiteren Personen, die sowohl in der Uni als auch im Verein Ämter innehatten, war Mainz über Jahrzehnte ein Mekka für studierende Leichtathleten oder Leichtathletik betreibende Studenten. Logische Folge waren hunderte von Titeln bei deutschen Hochschulmeisterschaften und einige Erfolge auch bei Universiaden, so die Studentenweltmeistertitel 1967 durch den späteren Vereinsvorsitzenden Michael Sauer im Dreisprung, 1987 durch Siegfried Wentz im Zehn- und 1997 durch Mona Steigauf im Siebenkampf. Anfang des neuen Jahrtausends erwies sich der USC auch als Verein mit Exportcharakter für andere Sportarten. Nachdem bereits einige ehemalige Mehrkämpfer und Werfer diverse Herrenbobs als Anschieber bestückt hatten, gelang der ehemaligen Sprinterin und Weitspringerin Ulrike Holzner der erfolgreiche Umstieg in dieselbe Disziplin für die Damen. Höhepunkte ihrer zweiten Karriere waren die Silbermedaille bei den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City und der gleiche Platz ein Jahr später bei der WM im eigenen Land. Ähnlich erfolgreich war die USC-Athletin Kerstin Jürgens (nach der Hochzeit Szymkowiak), vor allem in den Wurfdisziplinen zu Hause und wie Ulrike Sportstudentin an der Universität. Sie wechselte vom Bobsport weiter zum Skeleton, wo sie 2005 den Europameistertitel gewann und 2010 Silber bei den Olympischen Spielen in Vancouver holte.

Erfolge in jüngerer Zeit

Waren es im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends überwiegend die Sprinterinnen und Stabhochspringerinnen, die mit DM-Titeln und internationalen Einsätzen die Fahne des USC hochhielten, sind es seit einiger Zeit vor allem die Speerwerfer und erneut die Mehrkämpfer, die von sich reden machen. Julian Weber wurde 2021 Vierter der Olympischen Spiele im Speerwurf. Seit einigen Jahren ist er mit seinem Rheinland-Pfalz-Rekord von 88,04m unter den Top 10 der ewigen Deutschen und unter den besten 40 der ewigen Welt-Bestenliste. Niklas Kaul wurde nach vielen internationalen und nationalen Titeln im Schüler-, Jugend- und Juniorenbereich Weltmeister im Zehnkampf 2019 in Doha. Infolgedessen erhielt er zahlreiche unschätzbar wertvolle Auszeichnungen, unter anderem die zu Deutschlands Sportler des Jahres, Leichtathlet des Jahres und den „Bambi“. Mit seinen in Doha erzielten 8691 Punkten gehört er weltweit schon zu den besten 20 Zehnkämpfern aller Zeiten. Im Sog, aber sicherlich nicht im Schatten von Niklas haben weitere Mehrkämpferinnen und Mehrkämpfer im USC-Trikot in den letzten Jahren geglänzt: Manuel Wagner wurde 2017 U-18-Europameister, Paul Kallenberg Dritter beim Olympischen Jugendfestival 2019, Mareike Rösing gewann 2021 zum zweiten Mal die U-23-DM und Emma Kaul hat schon drei DM-Titel in der Schülerinnenklasse in der Tasche. Besonders erfreulich, dass bis auf Mareike all diese jungen Sportler und Sportlerinnen echte „Eigengewächse“ des USC sind. Dies spricht sicherlich für die herausragende Nachwuchsarbeit. Nichtsdestotrotz hat sich der Verein auf die Fahnen geschrieben, künftig auch wieder attraktiver für zugezogene Studierende zu werden sowie das Spektrum der leistungsstarken Disziplinen wieder zu erweitern. Ansätze hierfür sind zum Beispiel im Männersprint zu erkennen.

Ein emotionaler Höhepunkt in der Vereinsgeschichte: Die EM 2022 in München

Die wegen der Corona-Krise auf 2021 verschobenen Olympischen Spiele in Tokyo hätten ein Highlight in der Vereinsgeschichte werden können. Lange war Julian Weber im Speerwerfen auf Medaillenkurs, am Ende fehlten ihm dann aber als Vierter - auch eine große Leistung! - aber 14 Zentimeter zur erhofften olympischen Medaille. Und Niklas Kaul lag nach vier Disziplinen rund 100 Punkte über seinem Zwischenergebnis von Doha 2019, als er beim Sprung über 2,11 Meter wegknickte und verletzt aufgeben musste. Die WM 2022 konnte diese persönlichen Enttäuschungen noch nicht wettmachen - Sechster wurde Niklas Kaul im Zehnkampf mit 8434 Punkten. Weber wurde mit 86,86 Metern wieder Vierter - wiederum mit guter Leistung, er selbst aber hatte sich mehr erhofft. 

Nur wenige Wochen danach aber im Münchner Olympiastadion dann erlebte der Club einen seiner ganz großen emotionalen Höhepunkten in der Vereinsgeschichte. Niklas Kaul begeisterte die Zuschauer an jenem zeitlos schönen Schauplatz der Olympischen Spiele 1972 mit einer Aufholtjagd, wie sie noch nie zuvor einem Zehnkämpfer bei einem großen internationalen Wettkampf gelungen war. Nach 76,05 Meter im Speerwerfen und 4:10,04 Minuten über 1500 Meter verwandelte Kaul einen Rückstand von über 200 Punkten in einen deutlichen Vorsprung vor dem Schweizer Simon Ehammer und 8545 Punkten.

Der USC Mainz hatte aber in diesem Jahr noch mehr Grund zur Freude. Zwei weitere Athletinnen vertraten den Verein bei internationalen Einsätzen: Mareike Rösing beim Mehrkampf-Länderkampf in Dalles, dem Thorpe-Cup, wo sie mit 5797 Punkten Sechste wurde sowie Gesamtsiegerin mit dem deutschen Team, und Emma Kaul, die beim Europäischen Olympischen Jugendfestival EYOF mit 13,99 Sekunden über 100 Meter Hürden persönliche Bestleistung erzielte und nur knapp das Finale verpasste. Und dann gab es noch die vielen DM-Titel, die Medaillen und Bestleistungen, die der Nachwuchs des USC bei seinen Einzelmeisterschaften U 16 in Bremen sowie bei den Deutschen Mehrkampf-Meisterschaften in Bernhausen und Halle/Saale einheimste.

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Traurige Stunden / Todesfälle und Anabolika-Doping

Leider gab es in der Geschichte des USC auch traurige Momente. Tiefpunkte waren sicherlich die Todesfälle von Siebenkämpferin Birgit Dressel, die 1987 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere im Krankenhaus an Kreislaufversagen in Folge eines toxisch-allergischen Schocks starb und Uwe Beyer, der 1993 im Urlaub in der Türkei auf dem Tennisplatz zusammenbrach. Beide hatten auch Anabolika eingenommen, deren Missbrauch zum Doping im Sport für viele Todesfälle unter ehemaligen Sportler*innen weltweit verantwortlich gemacht wird. Uwe Beyer hatte zum Anabolika-Doping in den 1970er Jahren als einer der ersten deutschen Athleten offen gesprochen und damit auf ein großes Dopingproblem auch im Westen Deutschlands - und leider viel zu lange auch in großem Umfang beim USC Mainz - aufmerksam gemacht. Und besonders Birgit Dressels Tod mit nur 26 Jahren am 10. April 1987 verweist auf die dunklen Seiten des Spitzensport und auf Problematiken des Medikamenten- und Substanzmissbrauchs, die nicht erst schwerste Schäden verursachen können, wenn das Dopingverbot verletzt wird (siehe DOSB-Presse 10.04.1987).

Umso größer der Schock, dass 2003 ein erneuten Fall von Anabolika-Doping Schlagzeilen machte, in deren Mittelpunkt die für den USC Mainz startende Florence Ekpo-Umoh stand, Europameisterin mit der 4 x 400 Meter-Staffel von München 2002. Sie wurde bis 2005 gesperrt und startete im Anschluss daran beim Erfurter LAC als Olympia-Achte mit der deutschen Staffel 2008 ein Comeback. Als erste bundesdeutsche Athletin hatte übrigens 1977 Annegret Kroniger vom USC Mainz, Staffel-Olympiazweite von 1976, nach ihrem Rücktritt öffentlich erklärt, bei Sprintstaffel-Bundestrainer Wolfgang Thiele mit Anabolika gedopt worden zu sein.

Erfolge im Leistungssport heute - nachhaltig und gesundheitsverträglich!

Der USC Mainz heute stellt sich auch den dunklen Seiten seiner Vergangenheit und setzt auf einen Leistungssport, der Erfolge zwar anstrebt - aber nur unter der Bedingung, dass die körperliche und psychische Integrität von jungen Sportler*innen dabei nicht verletzt wird. Dass das Anti-Doping-Reglement des Sports respektiert und eingehalten wird, versteht sich von selbst. Ein nachhaltiger und gesundheitsverträglicher Leistungssport verlangt aber von den Verantwortlichen im Sport, den Trainer*innen, Betreuer*innen und Athlet*innen mehr als lediglich Doping zu unterlassen. Deshalb steht Sport beim USC Mainz heute im Zeichen von Achtsamkeit und Rücksichtnahme auf gesundheitliche Belange sowie auf ein Menschenbild, nach dem spitzensportlicher Erfolg nicht das Maß aller Dinge ist. Mancher Erfolg in jüngerer Zeit wurde nach unserer Überzeugung gerade dadurch möglich. Mit einer auf Gesundheitsbildung ausgerichteten Prävention will der USC Mainz für diesen Weg langfristig stehen.

Text: Stefan Letzelter / Ergänzungen: A.S.
letzte Aktualisierung: 25. September 2022